Der Spatz und das goldene Ei



Kapitel 1: Tschiptschie

 

Es war ein schöner Morgen im Mai. Die kleine Stadt erwachte und  die Sonne schickte ihre ersten Strahlen auf eine große Linde, deren frisches Grün in den Tag leuchtete. Leichter Wind strich durch                           die Zweige und weckte die kleinen Spatzen. Sie saßen zusammengekuschelt in ihrem Nest, auf vier winzigen Eiern. Hier oben im Baum war es sicher. Keine Katze wagte sich, so hoch zu klettern. Auch die vorwitzigen Krähen hatten das Nest nicht entdeckt, denn die Spatzen hatte es in eine kleine Baumhöhle gebaut. Hier war der beste Platz in der ganzen Stadt. Jetzt schien die aufgehende Sonne hinein und es wurde angenehm warm.

Plötzlich regte sich etwas. Eines der kleinen Eier wackelte. Da pochte jemand von innen gegen die Schale. Die Spatzeneltern tschiepten aufgeregt und starrten das Ei an. Es wackelte immer stärker und bekam einen Riss. Kein Zweifel, das erste Spatzenküken würde noch heute schlüpfen. Die Mutter setzte sich auf die anderen drei Eier und schob das gesprungene dicht an ihren Bauch. So konnte sie es besser beobachten.

Für eine kurze Zeit war alles ganz ruhig. Das winzige Küken im Innern des Eis brauchte eine Verschnaufpause. Es war sehr anstrengend, sich durch diese dicke Mauer zu hacken, doch von draußen kamen so viele interessante Geräusche: Das Rauschen des Windes im Baum, das Zwitschern der Vögel, das Brummen der Autos und das liebevolle Piepsen seiner Eltern. All das hörte das kleine Küken. Es wollte so gern sehen, woher diese Geräusche kamen. Jetzt hatte es genug Kraft gesammelt, und hackte weiter. Knack – der Riss wurde größer und ließ Licht hindurch. Noch ein kräftiger Schnabelhieb und ein großes Stück Schale brach heraus. „Tschiptschie“ machte das Küken und steckte neugierig sein Köpfchen aus dem Ei. Dort saßen Mutter und Vater und  betrachteten es liebevoll. Vorsichtig brachen sie die restliche Eierschale auf und der kleine Spatz purzelte heraus. „Tschiptschie“, machte er wieder. Und so gaben ihm seine Eltern den Namen Tschiptschie.
 

Tschiptschie begann schon im Nest umherzuhüpfen, als seine Geschwister gerade schlüpften. Er half ihnen aus dem Ei und tschiepte dabei unentwegt. Sehnsüchtig sah er den Eltern nach, wenn sie aus dem Nest flogen um Futter zu suchen. Oh, er wollte auch fliegen, und er wollte alles sehen. Die Tage vergingen und Tschiptschie wuchs und wurde kräftig. Seine Geschwister saßen noch dicht zusammengekuschelt im Nest, doch Tschiptschie stand schon mit wackelnden Flügeln am Rande der Baumhöhle.

Und eines Tages schaffte er es. Vater und Mutter waren wieder auf Futtersuche als der kleine Spatz am Nestrand stand und wild mit den Flügeln schlug. „Pass auf“, piepten seine Geschwister, doch da hob Tschiptschie schon ab. Er flatterte ein kleines Stück und landete auf dem Ast vor der Höhle. Glücklich schöpfte er Atem.

Dann sah er sich um. Bisher hatte das Haus vor dem Baum ihm die Sicht versperrt. Dieses Haus war das einzige was Tschiptschie von der Welt draußen kannte. Doch jetzt schaute er daran vorbei. Viele andere Häuser gab es hier und auch einige Bäume, in denen Spatzen und Krähen wohnten. Unter ihm lag die Straße, auf der die Autos brausten. Dann blickte er in die Ferne und dort, hinter den letzten Dächern des Städtchens standen unzählige grüne Bäume ganz dicht beieinander. Keine Häuser oder Straßen gab es zwischen ihnen, nur leuchtendes unendliches Grün. Tschiptschie liebte diese Farbe. Das muss das Spatzenparadies sein, dachte er und hüpfte noch ein Stück weiter vor, um mehr zu erkennen.

Da kamen seine Eltern zurück. „Was machst du“, riefen sie aufgeregt. Du bist noch viel zu klein, schnell ins Nest zurück!

Doch das Grün in der Ferne ließ Tschiptschie keine Ruhe, und er redete von nichts anderem.

„Das ist der Wald“, erklärten ihm seine Eltern. Doch sie sagten auch: „Spatzen wohnen nicht im Wald! Alle unsere Vorfahren lebten hier in dieser Stadt. Hier finden wir unser Futter, denn von dem, was die Menschen fortwerfen werden alle Spatzen satt. Im Wald gibt es keine Brotkrümel und Wurstzipfel. Außerdem leben dort gefährliche wilde Tiere. Kein einziger Spatz dieser Stadt ist je in den Wald gezogen.“

Das alles beeindruckte Tschiptschie wenig. Sobald seine Eltern auf Futtersuche waren begann er seine Flugübungen.

Die Geschwister saßen nur da und warteten träge auf ihr Futter. „Wir müssen noch früh genug heraus aus dem warmen Nest, warum sollten wir so etwas Gefährliches wie Fliegen üben?“

„Hör auf damit, du könntest abstürzen.“

So zeterten sie die ganze Zeit.

Doch Tschiptschie träumte vom Wald und wollte so schnell wie möglich flügge werden. Jeden Tag kam er ein Stück weiter. Sein anfängliches hektisches Flattern war in einen ruhigen Flügelschlag gewechselt. Immer mutiger wurden seine Flugversuche.

 

Eines Tages kündeten Mama und Papa Spatz feierlich die erste Flugstunde an. Ängstlich hüpften seine drei Geschwister den Ast entlang und schlugen kraftlos mit ihren Flügelchen. Tschiptschie aber stieß sich vom Ast ab und flog ohne Unterbrechung bis in die Baumspitze.

Den Spatzeneltern blieb der Schnabel offen stehen. Erst wollten sie hinterher stürzen und ihren Sohn auffangen, doch als sie sahen wie sicher er war, ließen sie ihn fliegen.

„Er hat heimlich geübt wenn ihr fort wart“, petze ein Spätzchen. Doch anstatt Tschiptschie zu schelten, umarmten ihn seine Eltern und beteuertem ihm, wie stolz sie seien.

Nun wollten auch seine Geschwister Lob, und flatterten so stark wie sie konnten. Am Abend waren alle                           erschöpft und schliefen ohne zu piepsen ein.


Nach ein paar Tagen durfte Tschiptschie die Flugstunden für die drei Spätzchen übernehmen. Er brachte ihnen bei, sich mit kräftigem Flügelschlag in die Lüfte zu erheben, dort die Richtung zu wechseln und wieder zu landen.

Tschiptschie flog jetzt so sicher wie seine Eltern. Auch seine Geschwister lernten schnell, und schon bald waren alle vier Spatzen flügge. Sie konnten selbst Futter suchen, konnten überall starten, und landen und wussten sich gegen andere Spatzen durch lautes Tschiepen und Flügelschlagen wirksam zu verteidigen.

 

Das elterliche Nest wurde bald zu eng. Es kam die Zeit, dass sich alle vier ihr eigenes Plätzchen suchen mussten, um ihr eigenes Spatzenleben zu führen.

„Baut euer Nest hier im Baum, hier ist genug Platz, und es gibt viele sichere Verstecke“, rieten die Eltern. Drei Spätzchen folgten ihrem Rat, doch Tschiptschie verabschiedete sich.

„Ich ziehe in den Wald. Er sieht so wundervoll aus, und wenn ich hier im Baum bleibe werde ich jeden Tag dorthin blicken und traurig sein.“

„Ein Spatz gehört nicht in den Wald!“, riefen alle im Chor.

„Du bist noch nie so weit geflogen, und es ist gefährlich“, klagte seine Mutter. „Ich kann auf den Dächern und Bäumen Pause machen, und woher wollt ihr wissen das der Wald gefährlich ist? Niemand von euch war jemals dort!“

Die Eltern und Geschwister merkten, dass Tschiptschie durch nichts aufzuhalten war. So und verabschiedeten sie sich und wünschten ihm Glück.

 

 

Kapitel 2: Die Höhle

 

Es war ein weiter Weg. Die Bäume wollten einfach nicht näher rücken. Viele Male musste Tschiptschie sich setzen und verschnaufen, doch er gab nicht auf.

Endlich ließ er die Häuser hinter sich und flog über die letzte große Wiese vor dem vom Wald. Ein schriller Ruf ließ ihn zusammenzucken. Kurz darauf schoss ein riesiger Vogel vom Himmel, streifte ihn fast, flog knapp über den Boden und verschwand dann zwischen den Bäumen.

Tschiptschie landete zitternd auf der Erde und starrte dem Vogel nach. Es war ein Mäusebussard.

Schon früher hatte er ihn von seinem sicheren Baum aus beobachtet, damals kreiste er, als kleiner Punkt, weit oben am Himmel. Tschiptschie hatte nicht geahnt, dass er so groß war.

Bald war der Schreck jedoch vergessen und der Spatz flog in den Wald hinein. Unter dem grünen Blätterdach duftete es nach frischem Gras, Holz und tausenden Blüten. Die Sonnestrahlen zeichneten ein Schattenmuster auf den Waldboden. In den Baumkronen spielten Eichhörnchen und ihm unbekannte Vögel zwitscherten fröhliche Lieder.

Das war genau das Paradies von dem er geträumt hatte. Er landete auf einer kleinen, sonnenüberfluteten Lichtung und atmete tief ein. Bunte Blumen reckten ihre schönen Köpfe ins Licht und ein leichter Wind strich über das Gras.

Aber plötzlich verdunkelte sich alles. Es war, als wolle es mit einem Schlag Nacht werden. Der Vogelgesang verstummte und kein Eichhörnchen war mehr zu sehen. Sogar die Blütenkelche schlossen sich. Der Spatz blickte zum Himmel – riesige schwarzblaue Wolken verdeckten die Sonne. In der Ferne zuckten die ersten Blitze – Gewitter!

Tschiptschie hatte erst ein einziges Gewitter erlebt, kurz nach dem Schlüpfen. Damals war es plötzlich dunkel geworden und hatte in der Ferne unheimlich gegrollt. Dann waren gleißend helle Blitze vom Himmel zur Erde gezischt, begleitet von ohrenbetäubendem donnern. Danach kam der Regen. Es goss als hätte sich der Himmel aufgetan. Alle Spätzchen hatten sich unter Mamas Flügel verkrochen. Dort fühlten sie sich sicher und warm.

Jetzt war Tschiptschie allein, mitten im Wald. Schon kam der Donner näher, die ersten Tropfen vielen vom Himmel. Da sah er eine kleine Höhle über den Wurzeln einer alten Eiche. Vorsichtig steckte er seinen Kopf hinein, „Wohnt hier jemand?“ – Keine Antwort. Die Tropfen wurden größer, und so hüpfte er schnell hinein. Es war dunkel und warm. Draußen prasselte der Regen durch die Zweige, ab und zu erhellte ein Blitz den Himmel und es donnerte laut. Jetzt kommt sicher niemand hierher zurück, dachte Tschiptschie und hüpfte noch ein wenig tiefer in die Höhle hinein.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und er sah nicht weit entfernt etwas blinken. Er näherte sich vorsichtig und hatte plötzlich weiches Moos unter den Füßen. Und mitten im Moos lag ein glänzendes Ei.

Als der Regen nachließ verließ Tschiptschie schnell seinen Unterschlupf, denn sicher würde der Bewohner der Höhle jetzt zurückkommen, um das Ei auszubrüten.

Aber Spatzen sind neugierig, und so ein Ei hatte Tschiptschie noch nie gesehen. Also flog er in die Baumkrone und wartete. Er wartete lange, aber nichts geschah. Der Regen hatte längst aufgehört und die Eichhörnchen und Vögel waren aus ihren Verstecken zurückgekehrt.

 

Eines der Eichhörnchen kam auf Tschiptschie zu und fragte vorwitzig „Was bist du denn für ein komischer Vogel?“

„Ich bin ein Spatz“, antwortete er etwas beleidigt.

„Entschuldige meine Frage, aber ich habe noch nie einen Spatz gesehen. Von weitem sahst du fast wie eine Meise aus.“

Das Eichhörnchen sah Tschiptschie interessiert an.

„Nun sag schon, woher kommst du und was willst du hier?“

Offensichtlich ist das ein sehr neugieriges Tier, dachte sich Tschiptschie, aber sicher weiß es wem die Höhle unter den Wurzeln gehört. Also antwortete er freundlich: „Ich komme aus einer kleinen Stadt, dort wohnt auch meine Familie. Doch ich will in den Wald ziehen und bin auf der Suche nach einem Unterschlupf.“

„Warum gehst du denn von deiner Familie fort, um in den Wald zu ziehen?“

„Weil mir die vielen Bäumen, die frische Waldluft und der Vogelgesang so gut gefallen. Bei uns fahren Autos, die stinken, und in den wenigen Baumkronen wohnen eine Menge Krähen und Tauben. Die singen noch schlechter als Spatzen.

Als ich hier ankam hat mich das Gewitter überrascht, zum Glück fand ich eine leere Höhle am Fuße der Eiche. Ihr Bewohner ist wohl woanders vom Regen überrascht worden – wer wohnt dort eigentlich?“

„Dort wohnt niemand. Die Höhle ist zu dunkel und liegt zu tief unten. Wir Eichhörnchen und Vögel leben lieber in den Baumkronen, und den Mäusen gefällt es dort auch nicht, keine Ahnung warum. Sie sagen                           es riecht nach Gefahr, na Mäuse riechen halt überall Gefahr.“

„Dann werde ich dort einziehen“, sagte Tschiptschie froh.

Das Ei erwähnte er nicht, das war sein Geheimnis. Er hatte soeben beschlossen, dass er versuchen würde es auszubrüten.

 

Und so zog Tschiptschie in die Baumhöhle und saß die meiste Zeit auf dem Ei. Er war sehr geduldig und kam nur zum Fressen heraus. Brotkrümel und Wurstzipfel vermisste er nicht, denn die Grassamen und Waldfrüchte schmeckten köstlich und stillten seinen Hunger.

 

 

Kapitel 3: Lechsi
 

„Warum bist du in den Wald gezogen, wenn du doch nur in der Höhle rumsitzt?“, fragte eines Tages das Eichhörnchen, als Tschiptschie gerade zum Fressen heraushüpfte. Nach zehn Tagen Brüten war der Spatz etwas entmutigt und vertraute ihm deshalb sein Geheimnis an: „Ich habe in der Höhle ein wunderschönes Ei gefunden, doch es lässt sich leider nicht ausbrüten.“

Das Eichhörnchen überlegte einen Moment: „Bring es doch mal in die Sonne, vielleicht ist es dem Ei dort drin zu dunkel.“

Warum eigentlich nicht, dachte Tschiptschie und machte vor der Höhle aus Moos und Gras ein weiches Nest. Vorsichtig rollte er das Ei dort hinein.

Das Eichhörnchen staunte, so ein Glitzerding hatte es noch nie gesehen. „Was kommt denn da mal raus?“

„Keine Ahnung, wahrscheinlich gar nichts, es liegt bestimmt schon zu lange“, antwortete der Spatz und setzte sich drauf.

In der Mittagshitze bekam er Durst und flog zu dem kleinen Bach. Derweil brannten die Sonnenstrahlen heiß auf die Eierschale. Als Tschiptschie zurückkehrte um weiter zu brüten, verbrannte er sich fast die Federn. Es fehlte nicht viel, und das Ei hätte in Flammen gestanden.

„Oh je“, jammerte er „jetzt ist es ganz bestimmt futsch“. Doch da bemerkte Tschiptschie einen Riss. Ob das Ei von der Hitze spröde geworden war. Er starrte auf die Schale die leise knackte. Sonst war alles still. Sämtliche Tiere hatten sich vor der Mittagshitze in ihre Nester oder Höhlen verkrochen. Sogar das neugierige Eichhörnchen war verschwunden.

„Krack“, ein großes Stück Schale fiel heraus und etwas Grünes schimmerte hindurch. Tschiptschies Herz klopfte laut vor Aufregung. Wenige Sekunden später drängte sich ein Köpfchen durch das Loch. Aus einem winzigen Maul kam ein leises fiepen.

Erst war der Spatz wie erstarrt, doch dann pickte er die Eierschale vorsichtig auf und heraus purzelte ein kleines Tier. Er sah sofort, dass das kein Vogel war. Es hatte vier winzige Beinchen, einen Schwanz und seine Haut schimmerte grün in der Sonne. Das Tierchen schaute ihn an und fiepte wieder. 

Tschiptschie wurde klar, dass er jetzt Verantwortung hatte. Er konnte nicht einfach weiterfliegen und dieses kleine Wesen seinem Schicksal überlassen. Vertrauensvoll schob es den winzigen Kopf unter seinen Flügel.

Da kam das Eichhörnchen angehüpft. Es sah die kaputte Eierschale. Mit kugelrunden Augen betrachtete es Tschiptschie und das kleine grüne Tier.

„Es ist geschlüpft“ sagte der Spatz. „Weißt du was das für ein Tier ist?“

Nach einigen Augenblicken der Verwunderung fand das Eichhörnchen seine Sprache wieder. „Ähm … ich glaube, ein Lurch. Ach nein, die legen ihre Eier ja ins Wasser. … Dann ist es eine kleine Echse, eine Eidechse. Die Eidechsen die ich kenne, sehen zwar anders aus und schlüpfen nicht aus glitzernden Eiern, aber vielleicht war seine Mutter auf der Durchreise und hat das Ei hier ins Baumloch gelegt. Diese kleinen Echsen kommen nämlich ganz ohne Eltern aus, wenn sie geschlüpft sind. Sie fangen Fliegen und fressen Würmer und so’n Zeug, das gibt’s hier genug. Keine Sorge, du brauchst dich nicht mehr darum zu kümmern.“

Als das geklärt war, verabschiedete sich das Eichhörnchen und hüpfte mit großen Sprüngen davon.

Tschiptschie schaute zu der kleinen Eidechse. „Soll ich dich jetzt allein lassen?“ Sie fiepte traurig.

„Na gut, ich bleibe bei dir. Du bist ja ganz fremd hier, und schließlich bin ich im Wald auch ein Außenseiter. Spatzen gibt es hier nicht und auch keine Echsen wie dich. Bleiben wir also zusammen. Ich will dein Freund sein und dich beschützen.

Doch du brauchst einen Namen.

Meine Eltern nannten mich Tschiptschie. Da du keine Eltern hast, werde ich dir einen Namen geben. Du wirst … ähm, lass mich überlegen, Echsi wie Echse – nein du wirst Lechsi heißen. Das Eichhörnchen dachte ja erst du wärst ein Lurch, also bist du kein Echsi sondern ein Lechsi. Ha, das gefällt mir! Und du, gefällt dir dein Name?“

Die Eidechse rückte ganz dicht an Tschiptschie und rieb ihr Köpfchen an seinem Bauch.

Dann begann sie kleine Grashalme abzurupfen.

„Hey, ich denke du frisst Fliegen?“

Aber augenscheinlich schmeckten die Gräser ganz vorzüglich, denn Lechsi rupfte ein Halm nach dem anderen und kaute genüsslich.

 
 

Kapitel 4: Freunde
 

Tschiptschie lebte von diesem Tag an mit Lechsi am Fuße der Eiche. Er verzichtete auf einen Platz in der Baumkrone, um mit ihr zusammen zu sein. Lechsi hing an Tschiptschie, sie spielten am Tag zusammen und kuschelten sich des Nachts gemeinsam in ihre Höhle.

Lechsi wuchs schnell, sie war bald größer als die Eidechsen des Waldes, und sie fraß niemals Fliegen,                           Würmer oder ähnliches Getier. Nur Gräser, Blätter und Früchte standen auf ihrem Speiseplan.

Tschiptschie fand Lechsi wunderschön, ihre glänzende hellgrüne Haut schimmerte in der Sonne und über den Rücken zog sich ein winziger goldener Kamm. Keine Eidechse der Welt konnte es mit Lechsi aufnehmen. Doch sie wäre lieber so unscheinbar wie die anderen Eidechsen gewesen. Diese gingen ihr                           nämlich aus dem Weg und tuschelten heimlich hinter ihrem Rücken. Nein, mit Lechsi wollte keine von ihnen etwas zu tun haben.

Aber Lechsi hatte Tschiptschie, und zusammen waren sie glücklich. Außerdem kam jeden Tag das Eichhörnchen zu Besuch.

Anfangs hatte es den Spatz ausgelacht. Die Eidechse wird weglaufen, das passt doch nicht zusammen, Vogel und Echse. Aber als es bemerkte wie viel Spaß die Beiden miteinander hatten, ließ es das spötteln, und sie wurden Freunde.

 

An einem schönen Sommertag spielten sie gemeinsam Verstecken im hohen Gras. Lechsi war mit Suchen dran und Tschiptschie hatte sich unter einer Wurzel verkrochen. Plötzlich zischelte es. Eine orange Schlange kroch mit aufgesperrtem Rachen auf den Spatz zu. Er war unter der Wurzel gefangen und konnte nicht auffliegen.

Gleich würde sie vorschnellen und ihn verspeisen.

In diesem Moment entdeckte Lechsi ihren Freund und erkannte die schreckliche Gefahr. Ohne nachzudenken schoss sie auf die Schlange zu. Diese ließ von dem Spatz ab und drehte ihren schrecklichen Kopf zu Lechsi. Da blitze es plötzlich aus dem Rachen der kleinen Echse. Ein Feuerstrahl züngelte heraus und verbrannte die Schlange am Kopf. Vor Schmerz zischend zog sie sich zurück.

Tschiptschie war starr vor Schreck. Er hatte geglaubt sein Leben wäre zu Ende, doch auch das rettende Feuer aus Lechsis Rachen hatte ihn verstört.

Benommen und sprachlos saßen die Beiden nebeneinander, als das Eichhörnchen angehüpft kam. Es hatte eine Weile in seinem Versteck gewartet und nichts von dem Schlangenangriff bemerkt. Als ihm langweilig wurde, war es herausgehüpft und wunderte sich nun über die bewegungslosen Gesichter der Beiden.

Es schüttelte verwundert den Kopf und meinte: „Ich glaube, die Sonne war etwas zu heiß, ihr solltet euch im Schatten ausruhen. Ich komme später wieder, wenn es euch besser geht “, und dann verschwand es mit ein paar großen Sprüngen im Geäst.  

 „Was war das?“, fragte Tschiptschie nach etlichen Minuten. „Ich weiß nicht, irgendetwas hat der Schlange Angst gemacht.“ „Du hast Feuer gespuckt und sie verbrannt!“ „Was? Quatsch! Wie soll ich denn Feuer spucken, ich weiß noch nicht mal was Feuer ist.“ „Feuer ist das Gefährlichste was es gibt, es ist so hell wie die Sonne und so heiß, das es alles zerstören kann. Und Feuer kam aus deinem Rachen.“ Lechsi starrte Tschiptschie an und sagte mit zitternder Stimme. „Das kann nicht sein! Ich habe mich auf die Schlange gestürzt, weil ich dich retten wollte und dann hat sie sich plötzlich davon geschlängelt.“

Da hüpfte Tschiptschie auf Lechsi zu und drückte die kleine Echse mit seinen Flügeln fest an sich. „Danke - du hast mir das Leben gerettet. Du bist das mutigste Tier im ganzen Wald. Sicher hatte die Schlange Angst vor dir, und das Feuer habe ich mir nur eingebildet. Du bist der beste Freund den es gibt!“

„Und du bist mein allerbester Freund“, flüsterte Lechsi.

Sie sprachen nicht mehr über diesen Vorfall und erwähnten auch nichts gegenüber dem Eichhörnchen.

 

Die Zeit verging, es war Herbst geworden. Alle Tiere suchten Futter für den Winter. Lechsi war jetzt etwa so groß wie Tschiptschie und auf ihrem Rücken prangte ein prächtiger goldig glänzender Kamm. Sie hatte immer weniger Ähnlichkeit mit den Eidechsen des Waldes.  „Du wirst ja sicher, wie alle Tiere deiner Art, den Winter verschlafen“ meinte das Eichhörnchen. Es war jetzt sehr mir Sammeln beschäftigt, versteckte überall Nüsse und Eicheln und hatte keine Zeit zum Spielen.

Tschiptschie und Lechsi kannten den Winter noch nicht, doch da das Eichhörnchen sammelte, sammelten sie auch. Sie versteckten in ihrer Höhle Berge von Blättern, Gras und Beeren. Das war sehr nützlich, da Lechsi nicht in den Winterschlaf fiel, wie die anderen Eidechsen. Sie war putzmunter, als die ersten kalten Tage kamen. Tschiptschie plusterte sich auf, um die Kälte abzuhalten, doch Lechsi fror schrecklich. Da stopften sie ihre Höhle mit getrocknetem Gras aus und kuschelten sich dicht aneinander.

Als die ersten Schneeflocken vom Himmel schwebten, dachten die Beiden an Zauberei. Das Eichhörnchen kam sie besuchen und lachte über ihre verwunderten Gesichter. „Das ist Schnee, der fällt immer im Winter.

Tschiptschie war erstaunt, wie viel Zauber die Natur bereithielt. Erst war der grüne Wald bunt geworden, dann waren all die Blätter von den Bäumen gefallen und hatten die Erde mit einem knisternden Teppich bedeckt, und jetzt verschwand alle Farbe unter einer strahlend weißen Decke.

Auch wenn es kalt war, waren Beide froh, all diese herrlichen Dinge nicht im Winterschlaf zu versäumen.

Sie verbrachten die Tage ausgelassen im Schnee spielend und die kalten Nächte zusammengekuschelt in ihrer weich gepolsterten Höhle. Hier konnte ihnen die Kälte nichts anhaben. Auch die Futtervorräte reichten den ganzen Winter, denn sie hatten, dank des Eichhörnchens, im Herbst genügend gesammelt. 

Dann schmolz der Schnee, überall flossen kleine glucksende Bächlein und die Sonne schickte ihre wärmenden Strahlen durch die noch kahlen Bäume. Erste grüne Halme sprossen durch den alten Blätterteppich und die Vögel im Wald trällerten so munter wie schon lange nicht mehr. Tschiptschie und Lechsi fühlten sich stark und glücklich.

Doch nach den ersten Frühlingstagen verspürte die Eidechse plötzlich ein merkwürdiges Drücken und Ziehen in ihrem Rücken. Mit jedem Tag wurde das Drücken stärker, und sie bemerkte zwei kleine Beulen  rechts und links neben den Schultern. Die Beulen wuchsen täglich, und bald bemerkte sie auch Tschiptschie.

Lechsi war jetzt nicht mehr so ausgelassen und unbeschwert, und Tschiptschie begann sich Sorgen zu machen.

Als das Eichhörnchen zu Besuch kam blieb Lechsi in der Höhle, sie schämte sich wegen der Huckel. Auch Tschiptschie hatte heute keine Lust herumzutollen.

„Was ist denn mit euch los? Die Sonne scheint und ihr blast Trübsal! Lasst uns fangen spielen!“

Aber der Spatz schüttelte den Kopf, „Lechsi ist krank und ich weiß nicht wie ich ihr helfen kann.“

„Oh, das wusste ich nicht“, sagte das Eichhörnchen betrübt. Es hatte die kleine Echse in sein Herz geschlossen und gab Tschiptschie einen Rat: „Geht zur Eule, sie ist die Klügste im ganzen Wald und weiß bestimmt die richtige Medizin.“