Nina - zu den Sternen und zurück



1.

 

Es war Samstagabend. Alle waren jetzt irgendwohin unterwegs, zum Kino, zur Disco oder in den Pub, nur Nina saß allein in der Wohnung.

Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder Max waren bis morgen in Hannover. Max hatte Freikarten für den Dinosaurierpark mit extra Vorführung – von der Ausgrabung zur Präparierung. Er war seit Jahren von Dinosauriern fasziniert und wollte unbedingt Paläontologe werden.

Ihre Freundin Jackie traf sich mit ihrem neuen Freund Tim, und auch ihr Kumpel Ben kam erst morgen Abend wieder. Er war mit ein paar Freunden zum Autorennen gefahren. Eigentlich hatte er sie mitnehmen wollen, aber Nina konnte Autorennen nicht ausstehen. Einmal war sie mitgefahren, Ben zuliebe. Es war ein fürchterlicher Lärm und Gestank. Nein – einmal reichte!

 

Ben und Jackie waren ihre besten Freunde. Mit Ben hatte sie schon im Buddelkasten gespielt und er war wie ein zweiter Bruder für Nina. Jackie kannte sie erst seit drei Jahren. Sie war  damals neu in ihre Klasse gekommen und hatte sich auf den freien Platz neben sie gesetzt. Sie war Nina auf Anhieb sympathisch gewesen und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Schon nach wenigen Wochen war Jackie zu ihrer wichtigsten Freundin geworden.

Noch heute hörte sie geduldig zu, wenn Nina ihr mal wieder mit Liebeskummer und

ähnlichem Weltschmerz den ich den Ohren lag und das passierte ziemlich oft.

Ben war dafür ein fabelhafter Gesprächspartner, wenn es um so phantastische Dinge wie Geister, das Leben nach dem Tod oder versteckte Dimensionen ging. Stundenlang konnte sie mit ihm zusammen in seinem Zimmer sitzen und palavern.

Dafür hatte Jackie allerdings nicht viel übrig. Sachen, die sich nicht wissenschaftlich belegen ließen, waren für sie Spinnerei. Sie hatte einen scharfen Verstand, brillierte in Mathe und Physik und ihr Studium sollte später in Richtung Mikroelektronik gehen.

Ninas Leidenschaft dagegen gehörte der Archäologie. Als Kind war sie mit ihren Eltern oft auf der Museumsinsel gewesen und die Pharaonen, das Ischtartor oder der Pergamonaltar hatten sie schon vor vielen Jahren ganz in ihren Bann gezogen. Im Moment war sie fasziniert von der Hochkultur der Maja. Sie las alles über ihre Riten, Götter und Bauwerke.

Trotz, oder gerade wegen dieser großen Interessensunterschiede verstand sie sich so gut mit Jackie.

Im Moment war ihre Freundin allerdings gar nicht so bodenständig wie sonst, denn sie hatte sich bis über beide Ohren in Tim verliebt. Schon seit der neunten Klasse himmelte Jackie den blonden Mädchenschwarm an. Nun war sie endlich mit ihm zusammen und daran war Nina nicht ganz unschuldig…

 

…. So lag Nina auf der Couch und dachte nach. Sie hatte sich in eine kuschelige Decke eingemummelt und das Englischbuch endgültig zur Seite gelegt. Die Couch stand so, dass sie direkt aus dem großen Terrassenfenster schauen konnte. Die schweren Novemberwolken waren fortgezogen und ließen einen sternenklaren Himmel zurück. Nina stand auf, zog die Gardine beiseite und schaute zu den Sternen. Sie funkelten und blinkten in ihrer Unendlichkeit. Sie war davon immer wieder fasziniert. Irgendwo dort lag die Erklärung für alles, das doch für immer unerklärlich bleiben würde. Nina öffnete das Fenster. Kalte Luft strömte in das Zimmer. Sie trat auf die Terrasse und legte den Kopf weit in den Nacken. Je genauer sie hinsah, desto mehr Sterne entdeckte sie. Unendlich viele! Eine unbändige Sehnsucht erfasste sie. Sie spürte eine magische Anziehungskraft. Nina öffnete die Arme und begann sich zu drehen, die Augen zum Himmel gewandt. Sie hatte plötzlich das Gefühl leicht und frei zu sein. Frei von allen Sorgen, und der großen Antwort ein Stück näher. Sie drehte sich schneller und schneller, bis sie ihre eigne Schwerkraft nicht mehr spürte. Auch ein dumpfer Schlag an ihrem Kopf, so als hätte sie sich irgendwo gestoßen, ließ sie nicht bremsen. Sie drehte sich einfach weiter, denn selbst wenn sie es gewollt hätte, sie konnte nicht mehr stoppen. Ihre Sinne waren verschwommen, und um sie herum blitzten und sprühten tausend Farben. Es war, als  würde sie alle Körperlichkeit verlieren und mit Lichtgeschwindigkeit in den Weltraum katapultiert werden.

Und dann war es auf einmal ganz ruhig. Nina fühlte sich noch immer schwerelos und ein ungeahntes Freiheitsgefühl durchströmte sie. Die grellen Farben wichen einem weichen warmen Licht. Dieses Licht durchflutete Nina und hinterließ eine Wärme und eine unbändige Freude. Es war, als würde sie mit dem Licht verschmelzen. Dann sah sie ganz nah neben sich ein Gesicht. Nina erkannte es sofort.

„Du bist zu früh!“, sagte eine Stimme. Sie war weich und vertraut.
„Oma?“

Nina war nicht verwundert. Irgendwie war es ganz natürlich, das ihre Oma hier war.

„Du solltest nicht so einfach deinen Körper verlassen.“

Jetzt begann Nina langsam zu begreifen.

„Ich habe ihn nicht mit Absicht verlassen“, antwortete sie. Sie sprach dabei nicht im herkömmlichen Sinne. Es waren ihre Gedanken, denn alles hier war körperlos. Sie selbst konnte zwar  ihren Körper erkennen, doch er war nur wie eine leichte Wolke.

„Du siehst dich aus deiner Erinnerung, so wie du auch mich siehst“, erklärte ihr die Lichtgestalt ihrer Oma.

„Aber du bist doch wirklich da, nicht nur eine Erinnerung. Sonst könntest du nicht mit mir reden.“

„Ich bin immer dort wo du, dein Bruder oder deine Eltern sind. Ich  bin immer bei denen, die ich liebe.“

„Das heißt, du warst immer in meiner Nähe?“, fragte Nina.

„Ja, doch leider konnte ich nicht verhindern, was passiert ist. Es ist uns nicht möglich, in das Schicksal einzugreifen.“

Einen Moment verließ Nina das große Glücksgefühl, das sie durchflutete, seitdem sie ihren Körper verlassen hatte. Ein schwarzer Schatten huschte durch sie hindurch, kalt und traurig.
„Bin ich gestorben?“

Auf dem Gesicht der Oma breitete sich ein weiches, tröstendes Lächeln aus. So hatte sie geschaut, als Nina sich damals ihre Knie beim Rollschuhlaufen ziemlich schlimm aufgeschlagen hatte, und sie ihr einen Verband  darum band.

„Nein, mein Kind. Du liegst neben der Terrassentür und atmest. Du bist bewusstlos, denn dein Wunsch, aus dir selbst herauszutreten war so groß, das ein kleiner Stoß an deinen Kopf gereicht hat. Eigentlich hätte es nur eine kleine Beule gegeben. Du hast dich selbst verlassen, obwohl du am Leben und gesund bist.“

„Oh, dann ist das hier also meine Seele?“

„Ja, wenn du es so nennen willst.“

„Wie komme ich denn wieder zurück?“ ...........

 




 

7.

 

Ninas Koffer war gepackt und der Vater lud ihn in den Kofferraum. Die Eltern hatten inzwischen ihren Groll vergessen und fuhren sie zum Flughafen. Max saß mit Nina auf der Rückbank.

„Schreibst du mir?“, fragte er.

„Ich bin doch in fünf Tagen wieder da, so schnell kommt doch keine Karte an“, erwiderte Nina lachend.

„Trotzdem, eine Karte nur für mich, bitte.“

„Okay, wenn du willst, schreib ich dir eine Karte.“

„Du bist doch vorsichtig und gehst nachts nicht allein weg, oder?“

„Man Max, du bist ja schlimmer als Papa. Ich bin achtzehn, ich kann auf mich aufpassen.“

Am Flughafen gab sie ihren Koffer auf und ihre Familie begleitete sie noch bis zum Sicherheitsbereich. Dort drückte sie alle drei ganz fest und versprach hoch und heilig abends nicht allein aus dem Hotel zu gehen. Dann ging sie durch die Absperrung zur Abflughalle. Sie drehte sich noch einmal um und winkte. Es war schon komisch, so ganz allein. Aber in ihrem Bauch kribbelte es vor Aufregung und dem Gefühl, jetzt wirklich erwachsen zu sein. Sie kam unbehelligt durch die Sicherheitskontrolle und war in der Abflughalle.

Dort hatte sie noch eine ganze Weile Zeit. Zum Glück gab es ein Café in der Halle. Sie holte sich einen Latte Macciato und setzte sich an einen kleinen runden Zweiertisch. Von hier hatte sie fast die ganze Halle im Blick und konnte ganz in Ruhe die Leute beobachten, die wie sie auf ihren Flug warteten. Die meisten waren deutsche Urlauber, aber ein paar Ägypter waren auch darunter. ‚Kaum Jugendliche’, stellte Nina fest. Sie trank langsam an ihrem Kaffee, so war sie mit etwas beschäftigt.

Endlich wurde ihr Flug aufgerufen. Sie holte ihre Bordkarte aus der Tasche und gesellte sich zu den anderen.

Nina hatte einen Fensterplatz. Das Flugzeug startete und tauchte in den grauen Himmel aus dem eine Mischung aus Regen und Schnee fiel.

In Kairo waren sechzehn Grad und Sonne angesagt. Zufrieden lehnte sie sich in ihren Sessel zurück, setzte ihre Kopfhörer auf, schloss die Augen und hörte ihre Lieblingsmusik.

Der Platz neben ihr war frei geblieben. Das Flugzeug war nur zu dreiviertel besetzt, die Hauptreisezeit war vor Weihnachten.

„Möchten Sie einen Sekt?“

Nina öffnete die Augen. Die Stewardess lächelte sie freundlich an.

„Oh, gern“, antwortete sie.

Kurz danach wurde auch schon das Mittag serviert. Nina entschied sich für die Gemüselasagne. Für Assiettenessen schmeckte sie erstaunlich gut.

Als das Flugzeug nach viereinhalb Stunden zur Landung ansetzte war der Himmel strahlend blau.

Vor dem Flughafengebäude wartete ein Kleinbus, der sie gemeinsam mit fünf anderen Reisenden zum Hotel brachte. Nina begrüßte alle höflich und nahm Platz.

„Welcome to Cairo“, rief der Fahrer gut gelaunt, grinste Nina an und gab Gas.

Die ältere Frau, die neben ihr saß,  tastete suchend den Sitz rechts und links ab.

„Haben sie etwas verloren?“, wandte sich Nina an Sie.

Doch die Frau schüttelte geistesabwesen den Kopf und murmelte: „Wo ist denn nur der Gurt?“

 „Gibt kein Gurt“, antwortete ihr korpulenter Begleiter auf der anderen Seite einsilbig, bevor Nina etwas sagen konnte. Daraufhin klammerte sich die Frau an den Arm des Mannes, offensichtlich in der Hoffnung, er würde sie beschützen, denn der Kleinbus war inzwischen richtig in Fahrt gekommen. Er schlängelte sich verboten schnell von Lücke zu Lücke durch die überfüllten Straßen, um dann gelegentlich voll abzubremsen, wenn es keine Lücke zum hineinschlängeln gab.

Ein anderes Pärchen Mitte zwanzig saß Nina gegenüber. Sie mussten sich genau wie Nina das Grinsen verkneifen, denn die Frau hatte jetzt die Augen fest zugekniffen und quiekte ab und zu wie ein kleines ängstliches Ferkel. Ihr Mann hingegen schaute missmutig auf sie und grummelte: „Jetzt hab dich nicht so albern.“, was aber nicht bis zu ihr durchdrang.

Der fünfte Passagier war offensichtlich ein Geschäftsreisender. Er hatte ein Laptop auf den Knien und schien von seiner Umwelt nichts wahrzunehmen.

 

Da Nina das gleiche Hotel gewählt hatte wie im Sommer, fühlte sie sich fast ein bisschen heimisch als sie aus dem Bus stieg. Sie checkte ein und brachte den Koffer auf ihr Zimmer im siebenten Stock. Es lag diesmal in Richtung Straße und die Sonne flutete herein. Nina öffnete das Fenster. Laut dröhnten die Geräusche der Autokolonnen hinauf. Die Luft war warm und abgasgeschwängert.

Sie holte ihr Handy aus der Tasche und rief ihre Eltern an. Kurz berichtete sie vom Flug und dass sie gut angekommen war. Natürlich wollte auch Max mit ihr reden. Zum Glück hatten ihre Eltern sich angeboten, die Handyrechnung zu übernehmen. Sie hatte zwar einen günstigen Tarif gefunden, aber es war trotzdem noch ganz schön teuer nach Deutschland zu telefonieren.

Danach stellte sie sich unter die Dusche.

Erfrischt und gut gelaunt fuhr Nina etwa eine Stunde später mit dem Fahrstuhl nach unten in die Lobby. Dort lagen Angebote für geführte Stadtbesichtigungen und Museumsfahrten aus, die sie sich durchsehen wollte.

In der Lobby saß das Pärchen Mitte zwanzig aus dem Taxi.

„Hallo“, begrüßte Nina sie freundlich.

„Hai“ erwiderte der Mann lächelnd.

Die Frau nickte ebenfalls freundlich und fragte: „Reist du ganz allein?“

„Ja“, antwortete Nina.

„Hast du vielleicht Lust was mit uns zusammen zu unternehmen?“

„Gern“, antwortet Nina wahrheitsgemäß, denn die beiden waren ihr sympathisch.

„Ich bin Sandra“, die Frau reichte ihr die Hand. Sie hatte einen rotbraunen Pagenschnitt, war eher klein und kurvig, aber nicht dick. Ihre hellbraunen Augen strahlten fröhlich.

Ihr Partner reichte Nina ebenfalls die Hand:

„Björn“, stellte er sich vor.

Bestimmt ein Sportler, tippte Nina. Ein ähnlicher Typ wie Tim: Dunkelblond, durchtrainiert und ein süßes Lächeln.

„Ich bin Nina“, sagte sie.

Danach erzählte sie den beiden, dass sie bereits im Sommer in Ägypten gewesen war, sie sich Kairo aber gern noch einmal in Ruhe ansehen wollte.

„Dann kannst du uns ja führen“, meinte Sandra erfreut.

Der Portier, der offensichtlich ihrem Gespräch gefolgt war und deutsch verstand, kam hinter dem Empfangtresen hervor und auf sie zu.

„Wenn ich ein Empfehlung geben darf, zum Al Azhar Park ist es mit Taxi nicht weit, und heute wird wunderschön Sonnenuntergang.“

Er strahlte sie an, und die beiden sahen Nina fragend an.

„Ich war noch nicht da“, sagte sie, „Aber ich hab davon gelesen. Ich denke es lohnt sich.“

„Also gut, dann rufen sie uns bitte ein Taxi“, sagte Björn zum Portier.

„Ist schon da“, antwortete der und strahlte noch immer. Und tatsächlich, vor dem Hoteleingang hielt in diesem Moment ein Auto.

„Mein Bruder Achmed fahren besonders günstig“, erklärte der Portier nur.

Die drei stiegen ins Taxi.

Nina hatte ein paar Brocken arabisch gelernt und erklärte dem Taxifahrer, dass sie den Preis vorher ausmachen wollte. Der blickte erst etwas irritiert, das nicht der Mann mir ihm redete, war dann aber sehr erfreut über Ninas Bemühungen, in seiner Sprache zu sprechen.  Er schlug einen Preis vor und bot ihnen an, sie auch wieder zum Hotel zu fahren. Björn und Sandra waren einverstanden, und los ging die Fahrt.

Im Sommer hatte Nina die Stadt nur aus dem erhöhten Busfenster gesehen, jetzt stand sie mitten im Stau. Doch Achmed quetschte und hupte sich hindurch, und Nina überlegte, ob es nicht manchmal von außen am Lack geschrappt hatte. Aber die Autos hier hatten fast alle ein methusalemisches Alter und Rost oder Kratzer schien niemanden zu stören. Achmed erzählte ihnen in einer Mischung aus arabisch, deutsch, englisch und wildem Gestikulieren, dass seine Tochter in Münster studiert und er auch schon mal dort war und der Dom sehr schön sei. Dabei umrundete er kunstvoll Autos und auch den einen oder anderen Fußgänger, der sich scheinbar lebensmüde über die Straße wagte.

Sie kamen nach einer halben Stunde am Park an. Dort empfing sie eine Oase von Palmen, exotischen Pflanzen, grünen Rasenflächen, Wasserspielen und wunderschönen orientalischen Gebäuden – es war ein Traum.

Nina sah Liebespärchen Hand in Hand durch die Grünanlagen wandeln und schaute auf ihre Begleitung.

„Habt ihr was dagegen, wenn wir uns gegen sechs wieder am Eingang treffen? Ich würd gern ein bisschen allein herumstromern.“

„Wenn du gern willst“, meinte Sandra. „Aber lass uns die Handynummern tauschen, falls wir uns nicht finden.“

Also tauschten sie die Nummern und Nina machte sich auf den Weg.

Die Luft hier war viel besser als zwischen den Häusern. Es roch frisch, nach Pflanzen und Wasser. Nachdem sie eine Weile unter Palmen und an blühenden Anlagen vorbei gewandelt war fand sie eine Bank, die genau in Richtung Sonnenuntergang blickte. Von hieraus hatte man einen wundervollen Ausblick auf die Stadt.

Über den unzähligen Häusern der Megastadt lag eine dichte Dunstglocke, die sich langsam rosa färbte. Der Ruf des Muezzin von tausenden Minaretten wiedergegeben, übertönte das anhaltenden Rauschen des Verkehrs.

Wie schön wäre es, wenn der Mann aus ihren Träumen jetzt vor ihr auftauchen würde. Er würde ihre Hand nehmen, ganz ohne ein Wort und sie würden zusammen die Sonne sinken sehen. Nina schloss die Augen und sein Gesicht erschien. Doch als sie sie wieder öffnete sah sie nicht ihren Traumprinzen, sondern Sandra und Björn.

„Du hast ja hier den perfekten Platz gefunden. Dürfen wir uns zu dir setzen?“, fragte Björn.

„Ja, sicher“, antwortet Nina.

Nein, ihr Prinz war nur ein Traum, und der Mann damals vor dem Hotel einfach irgendein gutaussehender Ägypter, der in diesen Traum passte. Sie war ganz froh, jetzt nicht allein zu sein, sonst würde sie noch schwermütig werden.

Offensichtlich hatten die Beiden kein Problem damit, ihre Romantik mit Nina zu teilen.

„Der Park war wirklich ein toller Tipp“, sagte Björn, und legte seinen Arm um Sandra.

„Ja, es ist bestimmt der beste Platz in Kairo um den Sonnenuntergang zu sehen“, antwortet Nina.

Danach schwiegen sie, denn der glutrot leuchtende Ball versank jetzt langsam hinter den Häusern.

Nina machte Fotos. Auch von Sandra und Björn, die sich verliebt aneinander kuschelten.

Als die Sonne gänzlich hinter den Häusern verschwunden war, kehrten sie in ein Restaurant ein, das an einem kleinen künstlichen See lag. Im schummrigen Abendlicht blickten sie auf die Altstadt von Kairo mit ihren Türmen und Kuppeln. Björn und Sandra waren begeistert. ...........


 



 

9.

 

Am nächsten Morgen nieselte es leicht. Björn und Sandra waren nach Luxor weiter gereist und Nina schloss sich einer Gruppe an, die ins Ägyptische Museum fuhr. Sie nahm ein Handbuch über die ägyptischen Schätze mit und hatte heute alle Zeit der Welt, um diese Schätze zu erkunden. Sie würde nachher, wenn sie wirklich genug gesehen hatte, Achmed, den Taxifahrer, anrufen um zum Hotel zurück zu fahren.

Das Museum war angenehm temperiert, ganz im Gegensatz zu der Hitze die herrschte, als sie mit Jackie im Juli hier war. Nina tauchte ein in die verflossene Welt ohne sich von den durchströmenden Touristenmassen stören zu lassen. Fasziniert betrachtete sie alte Hieroglyphen, Statuen und kleine Steinfiguren, die so lebendig gearbeitet waren, dass das alte Ägypten vor ihren Augen auflebte.

Erst nach mehreren Stunden schaute Nina auf die Uhr. Ihr Magen hatte sie durch sein nachdringliches knurren zurück in reale Welt geholt. Tatsächlich war es schon Nachmittag, Zeit ins Hotel zurückzukehren und etwas zu essen. Sie rief Achmed an. Der hatte gerade eine Fahrt, aber eine knappe Stunde später stand sein Taxi vor dem Museum. Während dieser Zeit schlenderte Nina noch vor dem Museum herum und kaufte an einem Stand eine riesige Tüte mit den köstlichsten Pralinen. Sie wusste, das Ägypter Süßigkeiten liebten, und auch wenn es Abdelali nicht so sehr mit Traditionen hielt, ein Gastgeschenk wollte sie auf alle Fälle mitbringen, und da waren Pralinen besonders geeignet.

Im Hotelrestaurant aß Nina eine Kleinigkeit und ging dann auf ihr Zimmer um zu duschen. Um sieben Uhr  saß sie in der Hotelhalle und fast pünktlich, um Halb acht, kam Abdelali um sie abzuholen.

Er stieg aus einem Auto, in das Nina in Deutschland garantiert nicht eingestiegen wäre. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht grüßte er: „Salam Alaikum“ und öffnete ihr die Beifahrertür.

Nina erwiderte den Gruß, bedankte sich und stieg ein. Der Sitz wackelte, wahrscheinlich war er aus einem anderen Auto eingebaut. Überhaupt schien das ganze Auto aus Ersatzteilen zusammengesetzt worden zu sein. Als Abdelali den Motor anließ stieg eine schwarze Rauchwolke aus dem Auspuff und knatternd setzte sich das Vehikel in Bewegung. Sie fuhren nicht in Richtung Bazar sondern nahmen die Brücke über den Nil. Es war taghell, denn die unzähligen Lichter der Stadt spiegelten sich in dem breiten Fluss.

„Wohnst du nicht in der anderen Richtung, beim Bazar?“, fragte Nina verwundert.

„Nein“, antwortete Abdelali. „Als mein Vater damals starb haben wir auch unsere Wohnung über dem Laden verloren. Eine Wohnung in Kairo zu bekommen ist schwer, wenn du so wenig Geld hast. Wir haben aber Glück gehabt und auf der anderen Nilseite etwas gefunden, auf dem Dach.“

„Auf dem Dach?“, fragte Nina verwundert.
…..