Ritter Roland



Roland erblickte vor langer Zeit in einer großen Burg das Licht der Welt. Schon als Kind träumte er davon ein mutiger Ritter zu werden. Damals kämpfte er mit seinem kleinen Holzschwert gegen unsichtbare Räuber und Drachen. Nie verlor er seinen Traum, und so wurde er einer der mutigsten und edelsten Ritter. Immer stand er auf Seiten der Schwachen, er brachte Diebe und Räuber ins Gefängnis, kämpfte gegen Tyrannen und kannte keine Furcht, weder vor der Dunkelheit noch vor den wilden Tieren der Nacht.

Eines Tages ritt Roland durch einen dichten Wald. Gerade hatte er ein Dorf von einer Horde wilder Räuber befreit, jetzt war er auf dem Heimweg.

Plötzlich überraschte ihn ein furchtbares Unwetter. Der Himmel verdunkelte sich, Blitze zuckten und erhellten den Wald für Sekunden. Donner krachte ohrenbetäubend und Regen prasselte auf seine Rüstung. Er begab sich zu einem großen Felsen der zwischen den Bäumen aufragte und fand darin eine geräumige Höhle. Hier suchte er mit seinem Pferd Unterschlupf für die Nacht. Nachdem seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte er einen leichten Schimmer. Aus dem Höhleninnern kam Licht. Wie jeder echte Ritter wollte er herausfinden woher dieses Leuchten stammte. Sein Pferd folgte ihm, und so liefen sie immer tiefer in die Höhle hinein. Sie verzweigte sich in vielen Gängen, doch Rolands Augen waren außergewöhnlich scharf und so verfolgte er den Lichtschimmer zielstrebig. Bald wurden die Gänge zu eng für sein Pferd, der Ritter schickte es zurück. Auf der ganzen Welt gab es kein braveres und klügeres Pferd. Es würde warten bis er zurückkäme, und sollte sein Ausflug länger dauern würde es im Wald nach Futter suchen.



Ritter Roland machte sich nun allein auf den Weg. Bald waren die Gänge so eng, dass er nur auf allen Vieren weiterkam, an einigen Stellen musste er wie eine Schlange kriechen. Nach vielen Stunden hellte das Licht plötzlich auf und der Gang wurde so hoch wie ein Kronsaal. Roland bog um eine Ecke und ihn blendete gleißendes Sonnenlicht. Einige Sekunden sah er gar nichts, dann gewahrte er vor sich einen tiefen Abgrund. Viele hundert Meter unter ihm brodelte ein reißender Fluss. Auf der anderen Seite des Abgrundes aber schimmerte eine märchenhafte Landschaft. Ein Meer von Blumen wiegte sich im Sommerwind, seichte Hügel waren von hellgrünen Wäldern bewachsen und in der Ferne leuchteten die goldenen Türme einer Märchenburg. Überwältigt von diesen Eindrücken stand er an der Schlucht, als plötzlich etwas dicht an ihm vorbei rauschte. Es streifte fast sein Gesicht und entfernte sich dann rasend schnell. Mit Entsetzen erkannte Roland in der Ferne die Gestalt eines Drachen. Kaum hatte er sich entfernt, näherte sich schon der Nächste. Der entdeckte den Ritter und ein riesiger Feuerschwall schoss aus seinem Maul. Roland warf sich in die Höhle zurück, fast hätte ihn das Untier gegrillt.


Hinter einem Felsvorsprung versteckt beobachtete er wie ein Drache nach dem anderen vorbei flog. Sie schienen immer im Kreis zu fliegen und bewachten offenbar das Land auf der anderen Seite der Schlucht. Jeder andere wäre umgekehrt, doch Roland blieb in seinem Versteck. Er wollte in das Märchenland, aber das war offensichtlich unmöglich. Unmöglich? Nicht für einen echten Ritter! Er hatte eine Idee, musste aber als erstes zu seinem Pferd zurück. Wieder kroch er durch die endlos langen Gänge und kam nach vielen Stunden am Eingang an. Dort wartete das treue Tier. Der Ritter streichelte ihm die Mähne und redete ihm zu. Das Pferd schien alles zu verstehen, denn es schnaubte und nickte dabei.

Dann nahm Roland die Pferdedecke, ein langes Seil, 2 Trinkflaschen und sein glänzendes Schild. Gestärkt vom letzten Proviant machte er sich erneut auf den beschwerlichen Weg. Nur ein einziger Gedanke erfüllte ihn; er wollte in dieses märchenhafte Land, auch wenn er dafür sein Leben riskierte.


Endlich kam das Ende der Höhle. Diesmal blendete ihn kein grelles Licht. Dunkelrot ging die Sonne auf, ein neuer Tag brach an. Die Märchenlandschaft sah jetzt fast noch zauberhafter aus. Hinter den leichten Frühnebelwolken konnte man die goldenen Türme erahnen. Vogelgezwitscher klang über die Schlucht, so melodisch und leicht, das Roland die Luft anhielt um zu lauschen. Doch schon rauschte der erste Drache heran, er wirbelte die Luft auf und der Ritter drückte sich in den Höhleneingang. Der Drache hatte ihn nicht entdeckt. Roland nahm das Seil in die Hand und knotete den Anfang zu einer großen Schlaufe. Dann breitete er die Pferdedecke aus, tränkte sie mit dem Wasser seiner Trinkflaschen und wickelte sich fest darin ein.

Inzwischen war die Sonne aufgegangen und stand gleißend am Himmel. Als sich das nächste Monster näherte, sprang Roland aus dem Höhleneingang und hielt ihm sein glänzendes Schild entgegen. Das darin gespiegelte Sonnenlicht blendete den Drache.

Der spuckte wütend Feuer, aber den Ritter schützte die nasse Decke vor Verbrennungen. Mit Schwung warf er das Seil über den Drachenkopf und zog sich daran auf seinen Rücken. Der brüllte auf und flog mit ihm davon. Roland zog nun einmal links an der Schlaufe und einmal rechts, und der Drache folgte wie ein Pferd. Schon  tauchte das nächste Monster hinter ihnen auf, schnell lenkte der Ritter seinen Drache auf die andere Seite der Schlucht, sprang ab und ließ sich die Böschung hinunterkullern. Der Drache war froh, die Last von seinem Rücken los zu sein und flog weiter, ohne sich noch einmal umzusehen.

Roland hatte es geschafft. Inmitten der schönsten Blumen blieb er liegen. Sie dufteten wundervoll und alles schien ein Traum zu sein. Doch dann stand er auf um dieses märchenhafte Land zu entdecken.

Er ging immer in Richtung der leuchtend goldenen Burgtürme.  Bunte Vögel umschwirrten ihn, auf den Wiesen ästen Rehe und Hasen hoppelten ohne Scheu vor seinen Füßen. Der Weg ging über seichte Hügel, vorbei an kleinen Wäldchen und stillen Seen. Bächlein glucksten leise, Pflanzen und Tiere fanden überall Nahrung im Überfluss. Obwohl Roland schon sehr lange unterwegs war fühlte er sich stark und wach. Das kühle Wasser der Bäche stillte seinen Durst, und die köstlichen wilden Früchte sättigten ihn.



Nach einem langen Fußmarsch kamen die ersten Häuser in Sicht. Sie waren schneeweiß mit roten Dächern. Vor jedem Häuschen gab es einen kleinen Garten. Viele der Einwohner arbeiteten dort, sie harkten, pflanzten oder ernteten. Trotz der Gartenarbeit sahen sie ordentlich und gepflegt aus. Roland stach von ihnen ab wie ein schwarzes Schaf von hundert weißen. Seine Rüstung war zerbeult, sein Gesicht rußgeschwärzt vom Drachenatem. Hinter seinem Rücken begannen die Menschen zu tuscheln. So einen wie ihn sie noch nie zu Gesicht bekommen. Der Ritter fragte einen Mann freundlich nach dem Weg zur Burg. Der schaute ängstlich, antwortete aber: „Ihr müsst nur der Strasse folgen, sie führt genau darauf zu.“ Roland bedankte sich und schritt kräftig aus. Rechts und links der Strasse tauchten immer wieder einzelne Häuschen auf, und immer tuschelten deren Bewohner wenn sie ihn sahen, oder zogen sich schnell zurück. Nachdem er nochmals einige Stunden gelaufen war sah er sich endlich seinem Ziel gegenüber – nur noch wenige Meter trennten ihn von den goldenen Burgtürmen. Die Pracht blendete ihn und er blieb stehen um sie in ihrer ganzen Schönheit zu bewundern. Überall glänzte Gold und Edelsteine waren ins Gemäuer eingelassen. Plötzlich öffnete sich das Tor, heraus stürmten Männer von der Burgwache. Sie hatten goldglänzende Rüstungen an und trugen goldene Lanzen. Roland schaute, wohin sie so schnell eilten – da war er schon umzingelt. Er war ein furchtloser Ritter, aber nicht dumm. Gegen 20 bewaffnete Soldaten gab es keine Chance. Sie packten ihn und führten ihn ab. „Wohin bringt ihr mich?“, Statt einer Antwort erhielt er einen Hieb in die Rippen. Sie stießen ihn in ein dunkles Verließ, viele Stufen unter der Erde, und hinter ihm schloss sich eine schwere Eisentür...