Auf der Suche



Der Ausbruch

 

Zitternd öffnete der kleine Maiasaurier die Augen. Es war noch immer dunkel, doch durch den Eingang der Höhle drang ein schwacher Lichtstrahl. Ein Knurren ließ ihn zusammenzucken. Da, es knurrte schon wieder, sogar noch lauter als beim ersten Mal. Jetzt zuckte der kleine Dinosaurier allerdings nicht mehr zusammen, denn das Knurren kam aus seinem eigenen Bauch. Es erinnerte ihn daran, dass er die letzten zwei Tage keine Mahlzeit sich genommen hatte. Mit zitternden Beinen stand er auf, ging zum Eingang der Höhle und lugte vorsichtig hinaus. Trübes graues Licht lag über einer trüben grauen Landschaft. Kühle Luft kam ihm entgegen.

 

Noch vor zwei Tagen war hier alles leuchtend grün gewesen. Die wärmende Sonne hatte am blauen Himmel gestanden und alles erstrahlen lassen.

Doch dann war in einer gewaltigen Explosion der ganze Berg auseinandergeflogen. Schon Wochen vorher hatte er leise gerumpelt. Als das Rumpeln anfing, hatte ihre ganze Herde den Weideplatz am Fuße des Berges verlassen und war an den Waldrand gezogen.  Mama und Papa hatten sie damals für den weiten Fußmarsch alle vier huckepack genommen. Unter einem Baum mit riesengroßen Blättern bauten sie ein neues Nest. Auch die anderen Herdenmitglieder hatten sich rundherum angesiedelt.

Seit diesem Umzug war Mama sehr vorsichtig und ließ sie kaum allein. Das lag an den Raubsauriern, die nur darauf warteten, dass einer ungeschützt herumlief oder ein Nest nicht gut bewacht wurde. 

Als sie am Fuße des Berges siedelten, lagen alle Mitglieder der Herde dicht beieinander. Nur ein Saurier hielt Wache, denn vor ihnen lag flaches baumloses Land mit saftiggrünem, niedrigen Pflanzenbewuchs, und die Raubsaurier konnten sich nicht ungesehen anschleichen. Wagten sie sich doch einmal dichter heran, stellten sich alle erwachsenen Herdenmitglieder zusammen vor die Nester. Diese starke Gruppe wagte keiner anzugreifen.

Hier im Wald war es gefährlicher, denn die Bäume boten den Räubern Deckung. Vor einer  Woche hatte sich in der Dunkelheit eine der gefräßigen Raubechsen herangeschlichen. Als Papa sie entdeckte, gab er Alarm. So schnell wie es ging kamen alle Erwachsenen zusammen um den Räuber zu vertreiben. Ein älterer Maiasaurus stand jedoch einem Moment zu lang allein und die Echse schnappte mit ihren scharfen Zähnen nach ihm. Durch lautes Trompeten und Schwanzschlagen konnte die Herde den Räuber vertreiben, und dem Alten das Leben retten. Seine Verletzungen waren jedoch tief, und er musste die nächsten Tage liegen. Sein Futter brachten die Herdenmitglieder zu seinem Liegeplatz.

Der kleine Maiasaurier hatte noch nie einen Räuber von nahen gesehen. Wenn er vorher die Warnungen seiner Mutter nicht immer ernst genommen hatte, jetzt blieb er bei seinen Geschwistern im Nest, auch wenn es dort langsam eng wurde.

Auf das Grummeln des Berges hatte niemand mehr besonders geachtet, denn alle waren mit der Bewachung der Nistplätze beschäftigt.  Außerdem kannten die Erwachsenen es schon von früher.

„Bald wird der Berg brennen und flüssiges Feuer läuft von seinem Gipfel hinunter. Doch wir sind weit genug entfernt, uns kann nichts passieren.“

Das hatte seine Mutter ihm gesagt. Der Berg hatte das wohl schon einmal gemacht, vor vielen Jahren, als sie noch ganz jung war. Auch die anderen Herdenmitglieder waren nicht sonderlich beunruhigt.

Der große Knall am Morgen hatte alle überrascht. Mit einem Rumms war der halbe Berg weggeflogen und Himmel und Erde brannten.

Panik brach aus, und alle liefen los. Papa nahm seine kleine Schwester auf den Rücken. Sie war am schwächsten und nicht schnell genug. Majos und sein Bruder waren inzwischen zu groß, um getragen zu werden.

„Renn Majos“, trieb ihn seine Mutter an, als er wie gelähmt auf den brennenden Berg starrte. Überall flogen glühende Brocken vom Himmel und die ersten Bäume hatten Feuer gefangen.  Da rannte er los. Er rannte als wären sämtliche Raubsaurier der Welt hinter ihm her. Er konnte sich nicht erinnern, wie lange er gerannt war. Waren es nur Minuten oder waren es Stunden. Immer wenn er nicht mehr konnte, schubste Mama ihn vorwärts. Doch dann vielen seine beiden Brüder zurück, und Mama kümmerte sich um sie.

Viele andere Saurier rannten mit ihnen, und in dem Chaos verlor Majos seine Familie aus den Augen.

Er blieb stehen und rief nach seiner Mutter, aber seine Stimme ging im Tosen des brennenden Berges unter. Überall sah er fliehende Dinosaurier durch die Bäume flitzen. Sogar die Raubsaurier rannten vorbei ohne einen Blick auf ihn zu werfen.

Und dann hatte plötzlich etwas Schweres seinen Kopf getroffen, ein Ast oder ein umher fliegender Stein. Alles war dunkel geworden und er hatte das Bewusstsein verloren.

 

 

Die Höhle

 

Als er wieder erwachte, lag er unter einer dicken Ascheschicht und bekam kaum Luft. Er schüttelte die Asche ab und sah sich um. Alles schien verlassen. Der Himmel über ihm war dunkel und  sternenlos. Licht spendete nur der immer noch brennende Berg.

Mamaaa“ rief Majos so laut er nur konnte. Das Tosen des Berges war leiser geworden, doch das waren auch die einzigen Geräusche die er hörte. Kein vertrautes Trompeten, nicht ein einziges Herdenmitglied war in der Nähe. Dicke Tränen quollen aus den Augen des kleinen Sauriers. Er saß da, sah sich um und hoffte, dass hinter den Silhouetten der verkohlten Bäume seine Familie auftauchen würde.

Der Himmel hinter dem Aschevorhang wurde schon langsam hell, als sich ein ganzes Stück entfernt von ihm tatsächlich etwas bewegte. Gerade wollte er „Mama“, rufen, doch der Ruf blieb ihm im Halse stecken. Denn das, was sich dort bewegte war kein Maiasaurier. Es war auch kein anderer Saurier der Herden, die hier manchmal vorbeizogen. Die schattenhafte Figur, die sich da im grauen Licht abzeichnete, hatte einen riesigen Kopf, lief auf zwei Beinen und zwei winzige Arme streckten sich vor dem massigen Körper. Es war die schreckliche Riesenechse, von der Mama ihnen erzählt hatte, noch viel größer, als die, die er bei dem Angriff im Wald gesehen hatte. Es war ein Tyrannosaurus Rex, der König der Fleischfresser, ein grauenhaftestes Monster.

Majos duckte sich, vielleicht würde ihn der Rex übersehen. Doch da wirbelte ein leichter Windzug die Asche in die Luft und der Rex hob seinen Kopf. Er hatte Witterung aufgenommen, denn der Wind wehte genau zu ihm herüber. Jetzt setzte er sich in Bewegung – genau in Majos Richtung. Er hatte ihn gerochen, trotz der umher fliegenden Asche und des  beißenden Barndgeruchs, der in der Luft lag.

„Renn Majos!“, es war, als riefe Mamas Stimme in seinem Kopf, und er rannte los.

Der Räuber kam näher. Unter seinen schweren Schritten dröhnte der Boden.  Der kleine Maiasaurier rannte, so schnell ihn seine Beine trugen. Das Dröhnen hinter ihm wurde lauter, und er hatte das Gefühl, schon den Atem der schrecklichen Echse zu spüren.  Er schlug Haken um die Bäume, und hörte es hinter sich krachen. Der Rex hatte ihm nicht so schnell folgen können und war einfach mit voller Wucht gegen einen verkohlten Baum gerannt, der krachend umflog. Majos rannte weiter im Zickzack. Das Stampfen hinter ihm entfernte sich etwas. Wie lange konnte er das noch durchhalten. Bestimmt hielt die große Echse länger durch.

Da sah er, dass er genau auf eine Felsenwand zulief, die hinter den Bäumen aufragte. Der Weg geradeaus war versperrt. Er schlug einen Haken und rannte nach links. Doch die Felsenwand machte einen Bogen und tauchte auch hier auf. Hinter ihm wummerte der Schritt des Tyrannosaurus. Majos rannte einfach weiter, es blieb ihm nichts anderes übrig, noch einmal konnte er die Richtung nicht wechseln, sonst würde er der Echse geradewegs ins Maul spazieren. Die Felswand war jetzt deutlicher zu erkennen. Er entdeckte einen Spalt zwischen dem Gestein. Er war etwa einen Meter über dem Boden. Wenn er ganz viel Glück hatte, passte er dazwischen. Majos rannte auf die Felswand zu und sprang mit einem Satz auf den Spalt zu. Er zog sich hoch und schlüpfte hindurch. Der Spalt schien wie für ihn gemacht.

Dahinter lag eine kleine Höhle, die ihm genug Platz bot.

Draußen wurde das Dröhnen immer lauter und hörte dann ganz plötzlich auf. Der Rex stand vor der Felswand und zog die Luft durch die Nüstern. Der Maiasaurier konnte ihn durch den Höhleneingang sehen. Offensichtlich hatte er die Witterung verloren, denn er lief schnüffelnd an der Felswand entlang.

Majos verkroch sich in den hintersten Winkel der Höhle. Er hörte, wie der Rex die Luft einsog.  Der Eingang der Höhle wurde dunkel, er stand jetzt genau davor. Das Herz des kleinen Sauriers klopfte so laut, dass es der Rex garantiert hören konnte. Der knurrte und spähte in die Höhle hinein. Majos konnte sein schreckliches Auge erkennen und machte sich so klein wie möglich. Das Auge vor dem Spalt verschwand wieder und nach einer Weile hörte Majos ein gleichmäßiges langsames Dröhnen. Die hungrige Echse hatte ihn nicht entdeckt und entfernte sich.

Erschöpft sank er in sich zusammen. Die Müdigkeit übermannte ihn und er viel in einen unruhigen Schlaf.

 

Nun schaute Majos nach draußen und überlegte, ob er es wagen sollte, die schützende Höhle zu verlassen. Vorsichtig steckte er jetzt den ganzen Kopf heraus und schaute nach rechts und links. Die Nacht war vorbei, und trübes Licht viel auf eine von einer dicken Ascheschicht bedeckten Landschaft. Er musste hinaus und unter der Schicht nach essbarem suchen.

Majos sprang aus dem Eingang auf den Boden. Es gab einen dumpfen Ton, als er auf der Asche landete. Noch immer stiegen vom Vulkanberg dicke schwarze Rauchwolken in den Himmel und versperrten dem Sonnenlicht den Weg. Die Luft war ungewöhnlich kühl und Majos fuhr ein Zittern durch die Glieder. Wachsam schaute er sich um. Hatte das Geräusch seines Sprunges jemanden angelockt? Doch alles war still. Der kleine Saurier begann mit den Füßen die Asche fortzuschieben. Ein paar spärliche graue Halme tauchten auf, die er gierig abzupfte. Der Aschegeschmack war scheußlich, und das Freilegen der Pflanzen äußerst mühselig. Majo hatte fast das Gefühl, dabei noch hungriger zu werden.

Er musste fort von hier, dorthin wo es keine Asche  gab. Vielleicht würde er ja dort seine Herde und seine Familie finden.

Entschlossen lief Majos los. Er war gerade ein paar Meter gegangen, da sah er sie – Raubsaurier, eine ganze Gruppe. Sie waren noch weit entfernt, aber er wusste, sie konnten viel schneller rennen als er, und ihn innerhalb von Sekunden erreichen. Diese dort waren offensichtlich auf der Suche nach zurückgebliebenen Tieren, er wäre eine leichte Beute. Auch wenn sie nicht sehr groß waren, Mama hatte von ihren fürchterlichen Krallen und messerscharfen Zähnen erzählt, und dass sie sogar große Dinosaurier zu Fall bringen konnten. Troodon kamen nie allein, das machte sie stark. Aber sie würden gewiss nicht einzeln durch den Felsspalt in die Höhle kriechen. Er musste zurück.

Ganz vorsichtig schlich Majos zur Höhle und kletterte hinein. Von dort beobachtete er die Raubsaurier. Sie kamen zum Glück nicht näher, und schon bald waren sie aus seinem Blickwinkel verschwunden. Er sah noch sehr lange hinaus, aber nichts geschah. Die Troodon hatten ihn nicht gewittert.

Trotzdem wagte Majos es nicht mehr, die  schützende Höhle zu verlassen. Was, wenn er auf so eine Gruppe träfe, ohne sich verstecken zu können? Er musste hierbleiben, hier war er sicher.

Doch schon bald meldete sich sein Magen wieder. Zu seinem großen Glück lief durch die Höhle ein kleines Rinnsal, so dass er wenigstens seinen Durst löschen konnte. Als der Magen ihm aber gar keine Ruhe mehr ließ, verließ er den sicheren Schutz und fraß hastig von den aschigen Pflanzen ganz in der Nähe. Als ein leichter Windstoß die grauen Äste der Bäume bewegte, rannte er panisch zurück in sein Versteck.

Wieder wurde es Nacht. Traurig und verängstigt rollte sich Majos zusammen. Sein Bauch begann zu schmerzen, denn er konnte die viele Asche nicht verdauen, die er mit den Pflanzen gefressen hatte.

Der nächste Tag brach an, genauso trüb und kühl wie der gestrige. Majos erwachte – hungrig. So konnte es nicht weiter gehen. Er musste hier fort. Lieber gefressen werden, als langsam verhungern.

Er nahm all seinen Mut zusammen und machte sich auf den Weg.



Unterwegs

 

Soweit sein Auge reichte war alles grau. Eine drückende Stille lag über dem Wald. Es schien als wären alle Farben und Geräusche verloren gegangen. Nur sein eigenes gedämpftes Tapsen in der Asche war zu hören. Majos lief und lief. Es war anstrengend durch die teilweise kniehohen Ascheberge auf dem hügeligen Waldboden zu laufen. Erschöpft blieb er stehen. „Was, wenn ich in die falsche Richtung laufe und wieder genau zu dem Feuerberg komme?“

Alles sah gleich aus, woran sollte er sich orientieren? Der graue Himmel, der zwischen den Baumwipfeln auftaucht, verriet noch nicht einmal den Stand der Sonne. Er sah sich um. Nicht weit entfernt erhob sich ein Hügel, höher als die anderen. Darauf ging er zu und erklomm ihn. Doch auch von hier oben war der Ausblick nicht besonders. Majos stellte sich auf zwei Beine und machte sich so groß wie möglich. Da sah er dicke schwarze Rauchwolken in den Himmel steigen, dort war also der Feuerberg. Also war er nicht falsch gelaufen, denn der Berg lag entgegengesetzt von seiner Marschrichtung. Auf der anderen Seite war der Blick etwas klarer. War dort nicht sogar ein blauer Streif am Himmel? In diese Richtung würde er gehen.

Majos schritt jetzt wieder schneller. Er war zuversichtlich, seine Familie war ganz sicher dort wo der Himmel hell wurde. Er würde sie schon bald wiederfinden.

 

Er war schon sehr lange gelaufen und kein einziges Lebewesen war ihm auf seinem Weg begegnet. Wahrscheinlich hatten jetzt auch die letzten Räuber dieses Gebiet verlassen. Plötzlich wurde der Boden unter ihm weich. Wasser quoll zwischen seinen Zehen hervor und schnell sank er ein. Erschrocken sprang der kleine Maiasaurier zurück. Was war das, warum gab die Erde hier nach?

Er versuchte an einer anderen Stelle weiter zu gehen, doch auch hier war es moorig.

Vorsichtig ertastete er mit den Füßen den Rand des Moores. Immer wenn der Boden nachgab, sprang er zurück auf festen Boden. Er kam kaum vorwärts, denn ständig versanken seine Füße in dickem Schlamm.

 

Er wollte schon umdrehen, um in eine andere Richtung zu laufen, da entdeckte er eine Schneise zerwühlter Erde zwischen den Bäumen. Die graue Ascheschicht war untergepflügt und schwarz glänzten kleinen Pfützen zwischen zertretenen Pflanzen.

„Hier ist eine Herde gelaufen“, durchzuckte es Majos, und er hätte er vor Freude fast trompetet. Zum Glück unterdrückte er diesen Instinkt im letzten Moment. Das Trompeten würden alle hören, auch die hungrigen Raubsaurier. Und hier gab es keine sichere Höhle mehr.

Also folgte Majos mit neuem Mut den matschigen Spuren.

 

Wahrscheinlich lief er genau den gleichen Weg wie Mama und seine Geschwister. Der Boden war weich und das Laufen mühsam, doch der Gedanke an seine Familie gab ihm Kraft und er kämpfte sich immer weiter durch.

Als er schon sehr lange gelaufen war, viel ihm auf, dass die Ascheschicht auf dem Boden dünner wurde. Auch der Untergrund wurde etwas fester und Majos kam jetzt schneller voran.

Endlich entdeckte er die ersten Pflanzen, die nicht unter Asche begraben waren. Es waren nur ein paar kümmerliche Halme die sich aus dem Boden streckten, denn der Rest war schon vertilgt. Die Herde hatte hier sicher Rast gemacht, um sich an den ersten aschefreien Pflanzen zu laben. Hungrig rupfte Majos die übriggebliebenen Pflänzchen ab und genoss  den frischen Geschmack. Satt wurde er davon zwar nicht, aber schon bald würde es mehr davon geben, da war er sich ganz sicher.

Er schritt mit großen Schritten aus und lauschte dabei auf jedes Geräusch. Vielleicht erklang ja schon das vertraute Trompeten aus der Ferne. Aber noch immer war alles still.

Vor ihm lichtete sich die Bäume und der Moorrast verschwand. Er stand jetzt vor einer großen steppenartigen Ebene. Über ihm zogen noch einige dünne Aschewolken, die mit dem Wind hierher getragen wurden, doch weiter im Süden war der Himmel leuchtend blau. Die Sonne stand schon tief im Westen und würde bald untergehen.

Sosehr sich Majos über den Anblick der Sonne freute, so verzweifelt war er doch in diesem Augenblick. Denn erstens wurden in dem trockenen sandigen Boden die Spuren der Herde mit jedem Windhauch verweht und zweitens gab es hier keinerlei Deckung. Keine Bäume oder hohen Sträucher, hinter denen er sich verstecken könnte. Und das Nahrungsangebot war sicher knapp. Die spärlichen Pflanzen vor ihm sahen hart und ausgedörrt aus und Wasser gab es in dieser Einöde sicher auch kaum. Es war eine unwirtliche Gegend.

Unentschlossen stand Majos am Waldrand. Er versuchte die Spuren auszumachen. Dort wo die Pflanzen abgefressen und zertreten waren, dort entlang war die Herde gewandert. Daran musste er sich orientieren. Doch schon bald würde es dunkel werden, dann wäre er für alle Räuber der Nacht ein gefundenes Fressen.

Deshalb wandte Majos sich um, und lief in den Wald zurück, soweit, bis die Pfützen im nassen Waldboden standen. Dort trank er und suchte nach übrig gebliebenen Pflanzen. Er fand einen dicken stacheligen Busch. Dessen Nadeln schmeckten zwar nicht so gut wie frische grüne Pflanzen, aber sie sättigten.

Die Dämmerung hatte eingesetzt. Es war noch immer still, wahrscheinlich hatten die meisten Dinosaurier dieses Waldstück verlassen. Aber Majos wusste, das Raubsaurier sehr schnell auftauchen konnten.  Er brach einige inliegende Äste des dicken Busches ab, und höhlte ihn aus. Dann wälzte er sich im Schlamm, bis sein ganzer Körper von einer dicken graubraunen Matschschicht bedeckt war. So würde es schwer sein, ihn zu wittern. Er kroch in den ausgehöhlten Busch und zog die abgebrochenen Äste vor den Eingang. Nun wäre er auch nicht mehr zu sehen. Hier wollte er bis zum nächsten Morgen bleiben, und sich dann in aller Frühe auf den Weg durch die Steppe machen. Er würde seine Herde finden -- nichts konnte ihn aufhalten.

Mit diesen Gedanken fiel der kleine Dinosaurier in einen tiefen traumlosen Schlaf. Nach dem langen Marsch war er sogar zu müde um sich zu fürchten.

 

Von einem schaurigen Heulen geweckt, fuhr Majos erschrocken auf.  Zweige kratzen an seinem Körper und der ganze Busch wackelte. Das Heulen kam von allen Seiten.

War er umzingelt? Es war stockdunkle Nacht. Er würde nicht einmal sehen, wenn ein hungriger Räuber direkt vor ihm stände.

Majos machte sich so klein wie möglich und verkroch sich in seinem Busch. Der wackelte und wankte noch immer. Kalte Luft fuhr durch ihn hindurch.

Erst langsam begriff der kleine Dinosaurier: Dort draußen brüllte kein hungriger Räuber, sondern es tobte ein gewaltiger Sturm. Ein wenig erleichtert atmete er auf, doch an Schlaf war nun nicht mehr zu danken. Der Sturm heulte um die Bäume, es knacke und knarrte, lautes Krachen – ein Baum hatte nicht standgehalten.

Majos starrte in die Dunkelheit und hoffte darauf, dass die Bäume um seinen Busch fest verwurzelt wären. Wieder krachte es, ganz in der Nähe.  Der Sturm schient Spaß daran zu haben, die Riesen zu Fall zu bringen.

Irgendwann zuckte Majos nicht einmal mehr zusammen, so oft hatte es schon gekracht.

Endlich graute der Morgen und aus dem Sturm wurde ein starker Wind, der kurz darauf abflaute.

Er kroch aus seinem Versteck und sah sich um. Nach den Geräuschen zu urteilen hätte der ganze Wald am Boden liegen müssen, doch nur vereinzelt konnte er ein paar entwurzelte Bäume entdecken. Ganz in der Nähe seiner Buschhöhle war ein Baum abgenickt wie ein Schachtelhalm. Die Baumkrone lag direkt neben dem Busch auf dem Boden. Noch nachträglich atmete Majos auf. Nur ein Stück weiter, und sie wäre direkt auf seinem Kopf gelandet. Doch jetzt bot sie einen tröstlichen Anblick, denn die Blätter daran waren frisch und saftig. Er streckte sich, schüttelte sich den getrockneten Schlamm vom Körper, der in kleinen Brocken durch die Gegend flog und begann zu fressen. Er fraß, bis nicht ein einziges Blatt mehr hineinpasste. Dann trank er aus den Pfützen am moorastigen Boden. Er zwang sich, möglichst viel davon zu trinken. Er hatte schon frischeres Wasser getrunken, aber sein Weg durch die Steppe würde weit sein, und das hier war die letzte Wasserstelle.

 

 

Queto
                   

Wieder stand er am Waldrand und sah auf die trostlose Landschaft vor sich. Der Sturm hatte den letzten Rest der Spuren verwischt. Es war schwer, die abgefressenen Pflanzen zu finden, denn sie waren zugeweht. Egal, Majos lief drauflos. Sicher war die Herde einfach geradeaus gegangen um dieses unwirtliche Land schnell zu durchqueren.

Die Sonne tauchte über den Horizont und die letzen Sturmwolken zogen davon.

Majos war noch nicht weit gekommen, da sah er, dass sich auf einem Hügel etwas bewegte. Schnell ging er in Deckung, so gut wie das hier möglich war. Er legte sich ganz flach in den Sand und bewegte sich nicht. Dabei behielt er den Hügel fest im Auge. Etwas kroch dort hinunter, genau in seine Richtung. Er konnte das Etwas jedoch nicht identifizieren. Es war ganz sicher kein Tyrannosaurus, dafür war es zu klein.

Es kam langsam näher. Eigentlich wollte Majos fliehen, aber er war zu neugierig. Was da auf ihn zukam lief nicht auf allen vieren, aber auch nicht auf zwei Beinen. Es wackelte merkwürdig hin und her. Wenn es nicht viel schneller würde, könnte Majos noch immer Reißaus nehmen.

Mit der Zeit erkannte er mehr Details. Der Kopf des Wesens endete in einem langgezogenen Schnabel und sein Gang war eigenartig schief. Es war nicht größer als Majos.

Jetzt hatte es  ihn auf dem Hügel entdeckt, zuckte zusammen und riss ruckartig seine Vorderarme in die Höhe. Majos bemerkte erstaunt, das es Flügel waren. Da kam ein Flugsaurier auf ihn zu. 

Er wusste nicht genau, ob Flugsaurier Fleisch fraßen, und er war nicht ganz sicher, ob sie kleine Maiasaurier aus der Luft angriffen. Also rannte er lieber in Richtung Wald, um sich zu verstecken.

Er suchte hinter einem Baum Deckung und sah dann nach oben. Am Himmel kreiste nichts, aber am Boden kroch der Saurier weiter in Richtung Wald. Er hatte seine Richtung jedoch etwas geändert und bewegte sich  nun nicht mehr auf Majos zu. Es schien wirklich keine Gefahr von ihm auszugehen.

Also trat er entschlossen hinter dem Baum hervor und lief direkt auf den Flugsaurier zu.

 

Als der ihn kommen sah, riss er erneut seine Flügel in die Luft, jedoch wieder ohne abzuheben. Im Gegenteil, um ein Haar wäre er umgestürzt. Jetzt machte er kehrt, und wackelte mit seinem eigenartigen Gang davon.

„Er flieht vor mir und kann nicht fliegen“, erkannte Majos. „Dieser Flugsaurier ist ganz allein, so wie ich.“

Truuht , stieß er den Begrüßungsruf der Maiasaurier aus und lief hinter dem Flüchtenden her.

Der sah sich erst um, als Majos ihn fast ein hatte. Mit abgespreizten Flügeln blieb er stehen und hackte mit seinem großen Schnabel in Richtung des Verfolgers.

Majos blieb in sicherer Entfernung stehen. Ihm viel auf, dass ein Flügel des Flugsauriers merkwürdig schief abgewinkelt war.  Bevor der ihn mit seinen Schnabelhieben erreichen konnte, sprach Majos ihn an:

„Hallo, ich bin Majos, ein Maiasaurier. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“

Der Flugsaurier legte den Kopf schief und fragte zögernd: „Kein Fleischfresser?“

„Nein, wir fressen nur Pflanzen“, antwortete Majos.

Da ließ er die Flügel erleichtert sinken und stellte sich ebenfalls vor:
„Ich bin Queto, ein Quetzalcoatlus“.

„Ein Quetzalcoatlus, ein Riesenflieger?“

Majos sah den kleinen Flugsaurier fragend an.

Der bemerkte den kritischen Blick.

„Ja, ein Riesenflieger, ich bin bloß noch nicht ausgewachsen.“ Und dann fügte er mit schwacher Stimme dazu: „Gibt es hier irgendwo Wasser?“

Majos erkannte, in welch erbärmlichen Zustand der kleine Saurier war. Sein linker Flügel war verletzt, außerdem war er ganz und gar mit Sand bedeckt.

„Ja, dort im Wald. Es steht zwar nur in Pfützen, aber es löscht den Durst. Komm, ich stütze dich, wenn du willst.“

Queto nickte dankbar und legte seinen gesunden Flügel um Majos Hals. Gemeinsam gingen sie zurück in den Wald. Durstig schlürfte der  Flugsaurier mehrere schwarze Pfützen leer. Dann atmete er tief durch.

„Geht’s besser?“, fragte Majos besorgt.

„Ja, aber ich habe noch schrecklichen Hunger“.

„Magst du Blätter? Dort hinten ist ein Baum umgekippt, seine Blätter schmecken köstlich. Wenn du willst, bring ich dir welche“.

Der Flugsaurier rümpfte ein wenig die Nase: „Das ist sehr nett, aber eigentlich fresse ich nur Fisch.“

„Oh, aber hier ist kein See in der Nähe. Vielleicht probierst du einfach mal ein paar.“

„Gut, du hast recht. Blätter habe ich noch nie probiert, und irgendwas muss ich ja fressen.“

„Prima“, freute sich Majos und rannte los.

Kurz darauf kehrte er mit einem Maul voller Blätter zurück und legte sie vor Queto ab. Mit seinem langen Schnabel versuchte der, die Blätter zu packen. Die Hälfte viel herunter, doch ein paar rutschten hinein.

Queto verzog das Gesicht.

„Schmeckt nicht?“, fragte der Maiasaurier zögernd.

„Och, geht schon“, antwortete der kleine Flieger und drehte sich etwas weg, damit Majos nicht sah, wie er die Blätter wieder ausspuckte. Aus Höflichkeit schnappte er noch einmal zu. Da erwischte er etwas, das schmeckte. Queto schaute genauer hin. Auf der Unterseite von einigen Blättern klebten dicke gelbe Raupen. Er packte sie mit seinem Schnabel.

Mmm. Die sind gut. Meinst du, es gibt noch mehr?“

„Du meinst die Blätter?“ Majos schaute ungläubig. Er hatte doch gesehen, mit welchen Widerwillen Queto sie in den Schnabel nahm.

„Eigentlich meine ich die dicken gelben Würste auf den Blättern. Die sind wirklich gut, fast wie Fisch.“

„Das sind Raupen“, Majos schüttelte sich ein wenig. Er achtete stets darauf, keine Raupe ins Maul zu bekommen, denn sie schmeckten einfach widerlich. Aber wenn er Queto damit helfen konnte, würde er extra welche suchen.

„Ich schau mal, ob es davon noch mehr gibt.“

Majos lief zu der Baumkrone und schaute sich die Blätter an. Tatsächlich, an einer Stelle saßen hunderte der dicken Raupen und taten sich an den Blättern gütlich. Darauf bedacht, ja keine davon in sein Maul zu bekommen, riss Majos den ganzen Ast ab und brachte ihn zu Queto. Der freute sich riesig und begann die Raupen mit großem Appetit zu vertilgen. Majos drehte sich weg, denn ihm wurde bei dem Anblick ein wenig übel.

„Das war wirklich sehr nett von dir“, sagte der kleine Flugsaurier, als er die letzte Raupe verspeist hatte.

Dann sah er Majos an.

„Sag mal, lebt ihr Pflanzenfresser nicht eigentlich in Herden?“

Der Dinosaurier nickte.

„Ja, schon. Aber ich habe meine Familie und meine Herde aus den Augen verloren als der große Berg neben unsrem Lager Feuer spuckte und zerbrach. Jetzt bin ich auf der Suche nach ihnen. Ich glaube, sie sind hier durchgezogen.“

„Oh, das tut mir leid. Dann habe ich dich aufgehalten. Du solltest schnell weiterziehen, damit du sie findest“, sagte Queto.

Majos sah ihn an: „Und was ist mit dir?“

„Och, das wird schon. Jetzt bin ich erst mal satt, und wenn mein Flügel wieder heil ist, mach ich mich auf die Suche nach einem See mit vielen Fischen.

„Bist du denn ganz allein unterwegs?“, fragte Majos.

Jetzt schon. Ich bin mit meinen Eltern und meiner Schwester zusammen geflogen, aber bei dem großen Sturm letzte Nacht trieb ich ab und habe sie nicht mehr gefunden.“

„Oh, dann geht es dir ja genauso wie mir. Habt ihr denn keinen Platz, zu dem du zurückkehren kannst?“

„Leider nicht. Wir mussten unsere geschützte Bucht mit den Nistplätzen verlassen, weil von dem zersprungenen Berg, von dem du erzählt hast, bis ins Meer ein glühender Brei floss und alle Fische von der Küste vertrieb.

Die ganze Kolonie war auf der Suche nach einem neuen Platz. Als der Sturm kam, flogen wir gerade über dieses trockene baumlose Land. Es gab keinen Schutz, und wir wurden einfach davon geweht. Mich drückte der Sturm auf die Erde, an einem Stein hab  ich mir den Flügel verletzt.“

Majos sah den kleinen Flugsaurier an und dachte nach. Sicher, mit jeder Stunde entfernte sich seine Familie weiter von ihm. Aber andererseits war es schön, nicht mehr allein zu sein.

 

Außerdem war der Flügel von Queto noch nicht geheilt, und er war nicht sehr gut zu Fuß. Es würde ihm schwerfallen, Futter zu finden.

„Ich würde gern bei dir bleiben, bis du gesund bist“, sagte Majos deshalb.

„Ehrlich?“, fragte Queto. Er hörte sich erleichtert an, denn natürlich wollte auch er nicht allein sein.

„Ja, ehrlich. Und ich bringe dir die Raupen von den Blättern, dann kannst du hier liegen und dein Flügel heilt viel schneller. Wenn du willst, können wir dann zusammen nach unseren Familien suchen.“

„Das ist eine tolle Idee!“ Queto war jetzt richtig fröhlich. „Ich glaube, mein Flügel ist schon bald wieder gesund.“

 

Und so war es dann auch. Nachts kuschelten sich die Beiden zusammen in den ausgehöhlten Busch, und am Tag suchte Majos nach umgekippten Bäumen. Überall fand er die dicken Raupen, und auch genug  Blätter, um selbst satt zu werden. Queto ruhte sich derweil aus, und bewegte seinen Flügel so wenig wie möglich.

Am Morgen des dritten Tages krabbelte der kleine Flugsaurier aus dem Busch und breitete beide Flügel aus.

„Es tut gar nicht mehr weh!“, jubelte er, schlug mit seinen Schwingen und hob vom Boden ab.

„Du bist gesund!“, freute sich Majos, als Queto wieder gelandet war.

„Ja, und das hab ich dir zu verdanken. Jetzt ziehen wir zusammen los und finden unsere Familien.

„Das machen wir!“, stimmte Majos zu.

Sie tranken noch einmal, soviel sie konnten, von dem moorigen Wasser, fraßen sich dann richtig satt und zogen los.